INTERVIEW
Urs Mathys, Solothurner Zeitung
2018 scheiterte das kantonale Energiegesetz; nun das nationale CO2-Gesetz. Wie soll es mit der kantonalen Energiepolitik weitergehen? Das wollten wir von der Solothurner Volkswirtschaftsdirektorin Brigit Wyss (Grüne) wissen.
Regierungsrätin Brigit Wyss (Grüne) steht vor schwierigen energie- und klimapolitischen Weichenstellungen.
Foto: Hanspeter Bärtschi
Wie beurteilen Sie das Nein der Stimmenden zum CO2-Gesetz grundsätzlich?
Persönlich bin ich über das Nein enttäuscht. Ich hatte gehofft, dass wir damit in der Schweiz einen gemeinsamen Schritt Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz machen können. Dies ist leider nicht gelungen. Das Resultat gilt es zu akzeptieren. Ich sehe das Nein jedoch nicht als grundsätzliche Absage an eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik sondern als Aufforderung, eine mehrheitsfähige Lösung zu erarbeiten.
Was hat aus Ihrer Sicht zur Ablehnung geführt?
Die Aussagen über die Folgen des CO2-Gesetzes waren widersprüchlich und schwer nachvollziehbar, was zu einer Verunsicherung führte.
Ein Déjà vu, nach den eigenen Erfahrungen mit dem kantonalen Energiegesetz?
Eigentlich nicht. Das CO2-Gesetz war politisch sehr breit abgestützt, wurde auch von der Wirtschaft mitgetragen und nur knapp abgelehnt.
Sie setzten darauf, dass das CO2-Gesetz das regelt, was mit dem Scheitern des Solothurner Energiegesetzes auf kantonaler Ebene nicht geregelt wurde. Jetzt gibt’s weder noch!
Die Neuausrichtung der Energiepolitik ist heute mehrheitsfähig und es gibt in der Gesellschaft und in der Wirtschaft viele gute Ansätze und Projekte für mehr Effizienz und mehr erneuerbare Energien. Weiterhin anspruchsvoll bleibt die Diskussion über das Tempo der Neuausrichtung und darüber, welche Massnahmen gefördert werden sollen und für welche es Vorschriften braucht.
Haben Sie einen Plan B für diese Situation?
Das CO2-Gesetz war Plan B für die kantonale CO2- und Energiepolitik. Nach der Ablehnung des kantonalen Energiegesetzes im Juni 2018 haben wir zusammen mit den wichtigsten Stakeholdern die strategischen Ziele und die Massnahmen für eine Koordination der kantonalen CO2- und Energiepolitik erarbeitet. Im Schlussbericht über die Koordination der CO2- und Energiepolitik im Gebäudebereich empfiehlt das Projektteam, ein kantonales Massnahmenpaket nur in Betracht zu ziehen, wenn auf Bundesebene die geplante CO2-Gesetzgebung nicht umgesetzt werden könne; an diesem Punkt sind wir jetzt.
Konkret?
Aktuell sind wir dabei – gestützt auf den Schlussbericht CO2- und Energiepolitik – die Energiestrategie des Kantons Solothurn zu überarbeiten und werden die Ablehnung des CO2-Gesetzes berücksichtigen.
Welche direkten Folgen hat das eidgenössische Nein vom Wochenende auf kantonaler Ebene?
Der Kanton Solothurn steht nun wieder selber in der Verantwortung, den CO2-Ausstoss des Gebäudeparks zu reduzieren, die Energieeffizienz zu erhöhen und die dezentrale erneuerbare Stromproduktion zu steigern.
Gibt es zum Beispiel Förderprogramme, die nun nicht mehr alimentiert sind oder auslaufen werden?
Die Förderprogramme laufen weiter wie bisher. Es stehen aber keine zusätzlichen Mittel mehr in Aussicht.
Wo besteht im Kanton aktuell der grösste Handlungsbedarf?
Im Gebäudebereich (Heizung und Warmwasser) sind wir nicht auf Kurs. Der Anteil fossiler Brennstoffe nimmt zwar ab, aber nicht schnell genug. Handlungsbedarf besteht auch bei der lokalen Stromproduktion und bei den erneuerbaren Energien.
Über 56 Prozent Nein-Stimmen im Kanton Solothurn: Ist ein neuer Anlauf für ein kantonales Gesetz nach diesem Wochenende überhaupt realistisch?
An den Rahmenbedingungen beziehungsweise Herausforderungen im Energie- und Klimabereich hat sich nichts geändert und wir werden eine Anpassung der kantonalen Energiegesetzgebung prüfen.
Welches sind die nächsten Schritte – wie soll es weiter gehen?
Das Energiekonzept 2022 für den Kanton Solothurn wird im Moment erarbeitet und die neue Ausgangslage berücksichtigt.
Wie ist der Zeitplan?
Das Energiekonzept 2022 wird durch den Regierungsrat voraussichtlich im ersten Halbjahr nächsten Jahres genehmigt.
Werden Sie den runden Tisch der Stakeholder wieder zusammen rufen?
Die Stakeholder werden sowohl im Zusammenhang mit dem kantonalen Energiekonzept als auch für die weiteren Schritte konsultiert.
Enttäuschung bis in die Mitte
Nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes wollen die Parteien im Kanton Solothurn nach vorne schauen. «Aus SP-Sicht braucht es jetzt ein stringentes Energiekonzept im Kanton», schreibt die SP in einer Mitteilung. Auch die Grünen Kanton Solothurn meldeten sich: «Die Ablehnung des CO2-Gesetzes enttäuscht uns sehr und wird auch unseren Kanton Jahre zurückwerfen in der Erreichung der Pariser Klimaziele», heisst es darin. «Wir müssen nun auch ausserhalb des CO2-Gesetzes die Weichen stellen für die Eindämmung der Klimakatastrophe», schreiben die Grünen weiter. Im Kanton werde man nun darauf hinarbeiten, den CO2-Ausstoss wirksam zu senken und den Rückschlag auf nationaler Ebene aufzuholen. Aber nicht nur die Linken sind enttäuscht, auch die CVP und die GLP hätten sich ein anderes Resultat gewünscht. Die CVP sei enttäuscht, schreibt Stefan Müller-Altermatt, Vizepräsident der Kantonalpartei. «Das Resultat ist aber zu akzeptieren und wir müssen anerkennen, dass der umfassende, grosse Wurf in der Klimapolitik wohl nicht zu haben ist». Man werde in Zukunft eine Politik der kleinen Schritte gehen müssen, auch auf kantonaler Ebene, schreibt Müller-Altermatt. Der Kanton müsse sich im Rahmen einer Neuauflage des kantonalen Energiegesetzes fit machen für die Zukunft. Armin Egger, der Kantonalpräsident der Grünliberalen, macht auf Anfrage einen Vorschlag, wie der Kanton einen Beitrag gegen den Klimawandel leisten könnte: «Auf kantonaler Ebene besteht ein grosser Nachholbedarf im gesamten Gebäudebereich. Die CO2-Emissionen im Gebäudebereich sind pro Kopf und Quadratmeter so hoch wie in keinem anderen Kanton», so Egger. Bei der Überarbeitung des kantonalen Energiegesetzes solle dieses Thema im Fokus stehen. Stefan Nünlist, Präsident der kantonalen FDP, betont, dass sich seine Partei in den nächsten Monaten intensiv mit dem Thema Umwelt und Energie auseinandersetzen werde. Es gelte, «Grundsätze entlang der freisinnigen Werte» auszuarbeiten. Ein Fokus müsse auf einer nachhaltigen und verlässlichen Energieproduktion liegen. (rba)