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«Wir sind noch zu wenig ambitioniert unterwegs.»

Lucien Fluri, Solothurner Zeitung, 11.April 2022

So will Brigit Wyss die Energiewende im Kanton Solothurn endlich vorantreiben

Foto: Carole Lauener

Die Gaspreise steigen. Und die Solothurner wird dies besonders stark treffen. Nirgends in der Schweiz wird pro Quadratmeter Wohnfläche so viel CO2 verbraucht, sei es über Oel oder Gas.

Brigit Wyss: In den Budgets der einzelnen Haushalte wird sich der Preisanstieg ganz sicher niederschlagen. Auch für die Wirtschaft ist es ein riesiges Problem, dass die Versorgung mit Energie viel teurer geworden ist.

 

Die SVP will als Gegenmassnahme den Benzinpreis subventionieren.

Dazu planen wir nichts.

 

Was können Sie auf kantonaler Ebene tun, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren?

Der Bund ist daran, die Herkunft des Gases breiter abzustützen. Unmittelbar können wir im Kanton nichts ändern. Um von der Abhängigkeit wegzukommen, ist es wichtig, dass wir wegkommen von fossilen Energieträgern wie Oel und Gas und die Effizienz im Gebäudebereich steigern. Dazu haben wir schon länger Programme, wir müssen sie aber intensivieren.

 

Bisher ist Solothurn das Schlusslicht, was die Effizienz im Gebäudebereich anbelangt.

Schweizweit stehen wir nicht gut da. Das ist so. Aber es passiert viel. Nach den Frühlingsferien werden wir das kantonale Energiekonzept vorstellen; Ende Jahr soll der Vernehmlassungsentwurf für ein kantonales Energiegesetz vorliegen. Damit zeigen wir auf, wie wir den Rückstand wettzumachen gedenken.

 

Sie sind seit fünf Jahre Regierungsrätin. Vor vier Jahren wurde das noch von Ihrer Vorgängerin aufgegleiste Energiegesetz abgelehnt. Ist es, gerade für eine Grüne Regierungsrätin, nicht etwas spät, wenn erst jetzt ein Energiegesetz kommt?

2018 wurde das kantonale Energiegesetz mit 70 Prozent abgelehnt. Nach der so hohen Ablehnung war es wenig erfolgversprechend, wieder ein Gesetz zu bringen, das sich auf die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich abstützt. Im Rahmen des Stakeholderprozesses «Koordination CO2- und Energiepolitik: Fokus Gebäudebereich» haben wir uns im April 2020 darauf geeinigt, die Volksabstimmung des CO2-Gesetzes im Juni 2021 abzuwarten, da dort entscheidende Bundesmassnahmen im Gebäudebereich geplant waren; das CO2-Gesetz wurde bekanntlich abgelehnt. Und...

 

Bitte.

Es ist seither aber nicht nichts gegangen. In der Zwischenzeit haben wir aber das Maximum des Möglichen rausgeholt, damit dennoch etwas geschieht.

 

Was heisst dies konkret?

Vor zwei Jahren haben wir unsere Förderprogramme, insbesondere in den Bereichen erneuerbare Heizungen - vor allem Wärmepumpen - Holz und Fernwärme, bis zum Maximum erhöht. Statt wie zuvor 10 Franken pro Kopf geben wir nun 30 Franken pro Kopf für die Förderung aus. Das wirkt: Statt 200 Gesuche beim Heizungsersatz haben wir nun 1000 Gesuche. Es hat Schub drin. Aber den möchten wir noch ausbauen.

 

Dennoch: Andere Kantone sind weiter. Im Kanton Zürich kam ein Grüner Regierungsrat und brachte innert Kürze ein neues Energiegesetz durch. Im Wallis, nicht gerade der progressivste Kanton, will der Regierungsrat-neue Oel- und Gasheizungen verbieten und Solaranlagen bei Neubauten vorschreiben.

Wie gesagt: Mit den Förderansätzen, die wir erhöht haben, geschieht verhältnismässig sehr viel. Wir haben auch ein Verbot von neuen Elektroheizungen. Solothurn ist aber energiepolitisch ein hartes Pflaster. Bei uns hat sich aber gezeigt, dass beispielsweise eine Pflicht für Solaranlagen massiv bekämpft werden wird. Aber auch die Mehrheit der anderen Kantone ist noch mit der Umsetzung der Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich beschäftigt.

 

Die SP kritisiert Sie da deutlich, obwohl Sie aus dem linken Lager stammen.

Links-Grün hat das Gefühl, es müsse schneller gehen. Rechts wiederum findet, es pressiere nicht. Meine Aufgabe ist es, einen Kompromiss zu finden, auch wenn ich persönlich vielleicht mehr möchte. Denn am Ende müssen wir die Bevölkerung überzeugen. Und Links-Grün alleine reicht dazu im Kanton nicht. Wir müssen bis weit ins bürgerliche Lager hinein Akzeptanz finden, um eine Vorlage durchzubringen.

 

Man hört, dass der Hauseigentümerverein ziemlich bremst.
Nehmen Sie zu viel Rücksicht auf ihn?

Ich möchte es nicht auf den einzelnen Verband herunterbrechen. Wir sind uns in den Zielen einig. Wir sind uns einig, dass das Ziel Netto null bis 2050 erreicht werden soll. Wir sind uns auch einig, dass wir im Kanton Solothurn eine zu tiefe Sanierungsrate bei den Gebäuden haben. Aber man ist sich nicht einig, mit welchem Tempo Massnahmen umgesetzt werden sollen. Sie haben das Energiekonzept angesprochen.

 

Wie sieht Ihre Lösung, ihr Tempo aus?

Wir sind noch zu wenig ambitioniert unterwegs, um das Ziel Netto null bis 2050 zu erreichen. Der Handlungsbedarf ist gross, gerade bei den Heizungen. Bis 2050 müssen wir rund 50000 Heizungen sanieren. Jetzt haben wir 1000 Gesuche pro Jahr. Diese Zahl müssen wir verdoppeln.

 

Es wird eher Richtung Anreize gehen?

Anreize sollen vor Verboten kommen. Ich schlage dem Regierungsrat vor, einen verbindlichen Absenkpfad ins Gesetz schreiben. Dieser soll allerdings verbindlich sein; die Resultate werden gemessen. Das heisst: Wenn die Ziele nicht erreicht werden, diskutiert man weitere Massnahmen.

 

Also dann doch Verbote?

Geht die Entwicklung so weiter wie bisher, braucht es keine Verbote. Wenn heute eine Heizung ersetzt wird, ist es zu 70 oder 80 Prozent keine Oelheizung mehr. Wenn wir die Förderung nun ausbauen können, auch beim Heizungsersatz, sollte es unter dem Strich aufgehen. Die bisherige Entwicklung zeigt, dass die Fördermassnahmen greifen.

 

Sie haben keine Angst, die Ziele nicht erreichen zu können?

Neubauten sind bereits heute kein Problem. Die Häuser sind mindestens netto null. Und bei den Sanierungen boomt das Geschäft, auch dank der Fördergelder: Aktuell findet man gar keinen Handwerker, der Zeit hat, eine Heizung zu ersetzen. Die Situation wird sich zudem ändern, insbesondere auch, weil wir die Förderung weiter ausbauen können, da auch der Bund im neuen CO2-Gesetz zusätzliche Gelder sprechen will.

 

Was planen Sie weiter im Energiekonzept?

Wir wollen auch die Ladeinfrastrukturen für Elektroautos fördern. Wir prüfen, ob es beim Neubau oder der Sanierung von Mehrfamilienhäusern eine Pflicht für Ladestationen geben soll. Eine weitere zentrale Massnahme ist der Ausbau von thermischen Netzen, den wir fördern möchten.

 

Eine Strommangellage könnte bereits 2025 Realität sein; Mitte der 2030er-Jahre wird es noch heikler, wenn man Atomkraftwerke abstellt.
Solothurn hat wenig getan, um die Stromproduktion zu fördern. Beim Wind ist man nirgends, bei der Photovoltaik hapert es.

Grundsätzlich haben die Schweizer Energieunternehmen viel investiert in erneuerbare Energien, nur nicht in der Schweiz. Das ist das Problem. Sie haben in der Nordsee grosse Windanlagen oder in Spanien grosse Photovoltaikanlagen realisiert. Nun plant die EU neue Regeln und es gibt das Risiko, dass dieser Strom gar nicht mehr in die Schweiz kommt. Die Risiken liegen jetzt aber auf dem Tisch, alle sind dafür sensibilisiert. Und jetzt suchen wir nach Lösungen, der Bund lenkt dabei.

 

Die Energieversorger sagen: Wir investieren dort, wo es rentiert.
Muss man also mehr Subventionen zahlen, damit wieder in der Schweiz investiert wird?

Nein. Die Eigner der Stromkonzerne sind Städte, Kantone und Gemeinden, letztlich also die Bevölkerung. Es bräuchte Auflagen durch die Eigner, damit die Firmen wieder hier investieren.

 

Sie rufen die Gemeinden auf, mehr Einfluss auf ihre Energieversorger zu nehmen?

Das ist so. Die öffentliche Hand muss ihren Einfluss geltend machen, etwa im Rahmen von Konzessionsverträgen oder bei Eignergesprächen.

 

Dennoch: Im Kanton selbst ist wenig geschehen.
Wie wollen Sie das ändern?

Grundsätzlich ist der Bund zuständig für die Energieproduktion. Aber der Kanton Solothurn will auch seinen Beitrag leisten. Es ist unbestritten, dass der Kanton hier mehr machen müsste. Im direkten Einflussbereich kann der Kanton beispielsweise die besonders vorteilhafte Kombination einer Dachsanierung mit einer Photovoltaikanlage finanziell unterstützen.

 

Reicht dies?

Wir müssen schauen, dass noch viel stärker Investitionen in grössere Photovoltaikanlagen getätigt werden. Dies bedeutet: Wir müssen vor allem bei grossen Anlagen Investitions- und Planungssicherheit schaffen. Wir werden Investitionsgarantien für Grossanlagen vorschlagen, beispielsweise auf zehn Jahre. Es soll eine Abfederung für Investoren sein, falls sich der Marktpreis nicht wie gewünscht entwickelt.

 

Auch bei den Privaten hinkt Solothurn in Sachen Photovoltaik hinterher.
Der Zubau müsste verdreifacht werden, um die nötigen Ziele zu erreichen.

Bei den Privaten haben wir unter anderem das Problem, dass man beim Hausbau eine Photovoltaikanlage nicht sofort, sondern erst nach fünf Jahren steuerlich abziehen kann. Wir wollen mit dem neuen Energiegesetz auch das Steuerrecht anpassen und das Problem beheben.

 

Wie sieht es mit einem vereinfachten Bewilligungsverfahren für Solaranlagen aus?

Wir machen uns Gedanken dazu, etwa dass es nur ein Meldeverfahren braucht. Wir müssen aber vorsichtig sein. Ohne ordentliches Baubewilligungsverfahren weiss der Nachbar vielleicht nicht, dass eine Anlage installiert wird. Es kann nicht sein, dass es im Nachhinein juristische Streitereien gibt, die zum Rückbau führen.

 

Noch nirgends ist der Kanton bei den Windrädern.
Das Beispiel Grenchenberg zeigt, wie langwierig Verfahren sein können.

Eigentlich waren wir im Kanton Solothurn Vorreiter. Es gab eine Positivplanung, wo geeignete Standorte für Windanlagen liegen. Dann passierte nichts, weil es in einzelnen Gemeinden massiven Widerstand gegeben hat.

 

Sie waren Umweltjuristin.
Müsste man nicht die Beschwerdemöglichkeiten einschränken?

Die Beschwerden hatten berechtigte Anliegen. Windräder sind ein massiver Eingriff: Man sieht sie weitherum. Es ist wie beim Wasser, man hat die Flüsse für die Stromproduktion begradigt. Die Energieproduktion hat immer eine grosse Auswirkung auf Natur und Umwelt. Aber tatsächlich müssen heute sowohl die Umweltverbände als auch die Betreiber einen Schritt aufeinander zu machen, wenn es uns ernst ist, unabhängiger zu werden.

 

Heisst dies, dass es Lockerungen braucht?

Wir müssen vor allem die Verfahren und die Fristen verkürzen. Ich verstehe bis heute nicht, warum das Bundesgericht drei Jahre für den Entscheid zum Grenchenberg benötigte. Solch lange Verfahren sind für Investoren nicht optimal. Es kann nicht sein, dass man jahrelang plant und am Ende gar nichts hat. Im Kanton wollen wir nun kantonale Nutzungspläne für Windanlagen. Dies bedeutet, dass die Planung und das Verfahren für Windanlagen beim Kanton läge. So können wir kleine Gemeinden entlasten, die mit dem Verfahren überlastet wären