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Ein Lehrstück der Politik

Das Solothurner Energiegesetz ist unter Dach und Fach

Ein Scherbenhaufen, dann jahrelange Diskussionen, ein Kompromiss nach dem anderen: Nun liegt ein Energiegesetz vor, das im Kantonsrat eine Mehrheit fand. Letzte Änderungsanträge wurden alle verworfen, unter Vorbehalt eines Referendums tritt das «Fördergesetz» damit in Kraft.

SZ, Raphael Karpf, 3. Juli 2024

Das neue Energiegesetz soll den Ausbau erneuerbarer Energien im Kanton beschleunigen.

Bild: Valentin Flauraud

 

Nach der intensiven, 1,5-stündigen Diskussion atmete Volkswirtschaftsdirektorin Brigit Wyss (Grüne) einmal tief durch. Auch wenn dieses Ergebnis absehbar war, so war ihr die Erleichterung deutlich anzusehen. Der Kantonsrat hatte soeben mit 78 zu 19 Stimmen dem neuen Energiegesetz zugestimmt. Unter Vorbehalt eines Referendums tritt es damit in Kraft.

 

Es ist ein sechsjähriges Mammutprojekt, das damit seinen Abschluss findet. 2018 wurde dem letzten Versuch, das Energiegesetz zu überarbeiten, an der Urne eine deutliche Abfuhr erteilt. Zu viele Verbote und Vorschriften, die Angst ging damals um, dass Rentnerinnen und Rentner aus ihren Häusern geworfen würden, weil sie sich einen Heizungsersatz nicht leisten könnten.

 

Das vermutlich intensivste Geschäft ihrer Amtsdauer: Volkswirtschaftsdirektorin Brigit Wyss kann sich mit dem Ja zum Energiegesetz kurz vor ihrem Abgang über einen persönlichen Erfolg freuen.
Bild: Oliver Menge

 

Seither gingen die Regierung, aber auch alle Parteien und Verbände grundsätzlich über die Bücher. Über Jahre wurde intensiv um diesen Kompromiss gerungen, der nun eine deutliche Mehrheit fand. Einzig die SVP stimmte geschlossen dagegen.

 

Ein mehrheitsfähiges «Fördergesetz»

Herausgekommen ist ein «Fördergesetz», wie es im Rat mehrfach genannt wurde. Der Kanton fördert künftig Solaranlagen, energetische Sanierungen oder auch Ladestationen für Elektroautos deutlich stärker.

 

An zwei Orten sieht das Gesetz zudem Vorschriften vor: Wer eine fossile Heizung erneut mit einer fossilen Heizung ersetzen will, muss bestimmte CO2-Grenzwerte einhalten. Und bei Neubauten gilt die Pflicht, eine Anlage zur Eigenstromerzeugung zu realisieren. Faktisch entspricht das einer Solaranlagen-Pflicht, es soll aber Ausnahmen geben.

 

Bis zur letzten Sekunde wurde intensiv um diesen Kompromiss des Kompromisses, wie die Vorlage ebenfalls mehrfach genannt wurde, gerungen. So gingen noch in der vorberatenden Kommission ganze 20 Änderungsanträge ein. Manche davon zu Detail-, andere zu ganz zentralen Punkten. So wurde von linker Seite gefordert, sich zum Ziel zu setzen, Netto-Null bis 2040 zu erreichen, nicht bis 2050, wie es die Energiestrategie des Bundes vorsieht.

 

Und von bürgerlicher Seite wurde unter anderem eingebracht, die CO2-Grenzwerte beim fossilen Heizungsersatz sowie die Solarpflicht bei Neubauten aus dem Gesetz zu streichen.

 

«Ein langer, schmerzhafter Prozess»

In vielen Punkten einigte sich aber bereits die Kommission auf weitere Kompromisse, andere Anträge wurden gleich ganz zurückgezogen. «Es war ein langer, schmerzhafter Prozess», sagte dazu Georg Nussbaumer (Mitte, Hauenstein). «Alle Seiten mussten nachgeben. Doch dieses Gesetz ist mehrheitsfähig. Das war ein vorbildlicher Prozess.»

 

Sein Statement steht sinnbildlich für die Haltung fast aller Fraktionen. Niemand machte einen Hehl daraus, dass man sich Verschärfungen oder Lockerungen in die eine oder andere Richtung gewünscht hätte. Doch (fast) niemand wollte das Gesetz als Ganzes gefährden und nach 2018 einen weiteren Scherbenhaufen riskieren.

 

 «Alle Seiten mussten nachgeben», sagte Kantonsrat Georg Nussbaumer. Foto: Bruno Kissling

 

Und so blieben für die Debatte im Kantonsrat am Mittwoch nur noch fünf Anträge übrig. Vier davon stammten von der SVP. Der wohl zentralste: Sie forderte, dass die Solarpflicht bei Neubauten aus dem Gesetz gestrichen wird.

 

Die vorberatende Kommission machte ihre Arbeit

 

Doch genau diese Pflicht sei ein Kernstück des Gesetzes, sagte etwa Matthias Anderegg (SP, Solothurn). «Diese zu streichen, würde eine klare rote Linie überschreiten.» Ähnlich tönte es aus den anderen Fraktionen, sogar eine Mehrheit der FDP stand hinter der Solarpflicht. Denn sie sei mit viel Augenmass ausgestaltet worden, sagte Martin Rufer (Lüsslingen). Sie gelte nur für Neubauten, sei technologieoffen und klar definierte Ausnahmen seien vorgesehen.

 

Die Solarpflicht bei Neubauten müsse zwingend im Gesetz bleiben, forderte SP-Kantonsrat Matthias Anderegg. Bild: Remo Zehnder

 

Diese klar definierten Ausnahmen gehen auf die vorberatende Kommission zurück, die die Ausnahmen als Kompromiss vorschlug. Konkret müssen nicht rentable Anlagen, also solche, die sich auf ihre Lebensdauer nicht amortisieren lassen, nicht gebaut werden. Darum stand nun sogar auch der Hauseigentümerverband (HEV), wenn auch nicht explizit hinter der Solarpflicht, so doch hinter dem Gesetz als Ganzes.

 

«Dieser Kompromiss hat die für uns rote Linie rosa werden lassen», sagte HEV-Präsident Markus Spielmann (FDP, Starrkirch-Wil). «Es ist Stand jetzt nicht vorgesehen, dass wir das Referendum ergreifen werden.»

 

Nicht nur dieser Streichungsantrag, sondern alle vier Anträge der SVP wurden abgelehnt.

 

Der Hauseigentümerverband werde kein Referendum ergreifen, sagte dessen Präsident Markus Spielmann. 

Bild: José R. Martinez

 

 

Gemeinden befürchten Autoritätsverlust

 

Als Letztes stand damit noch ein Antrag von Edgar Kupper (Mitte, Laupersdorf) im Raum. Dabei ging es um die Frage, wer Windparks und Solar-Grossanlagen plant und bewilligt. Das Energiegesetz sieht vor, dass nicht länger die Gemeinden, sondern der Kanton dies tut. Denn viele Gemeinden seien damit überfordert, solche Prozesse würden darum viel zu lange dauern, wurde von den einen als Argument genannt.

Weibelte erfolglos für mehr Gemeinde-Kompetenzen: Edgar Kupper. Bild: Rudolf Schnyder

 

 

Die anderen befürchteten, dass die Gemeinden damit entmachtet würden. Und nicht mehr entscheiden dürften, was auf ihrem Gemeindegebiet gebaut würde.

 

Die Lösung lieferte auch hier die vorberatende Kommission mit einem Kompromissvorschlag. Dieser beliess die Planungs- und Bewilligungskompetenz beim Kanton, schrieb aber explizit ins Gesetz, dass «Anliegen der Gemeinden zwingend berücksichtigt werden müssen».